2014/11/08

Rüdiger

So langsam glaube ich, dass ich keine Versprechen machen sollte, denn ich halte sie selten ein.
So habe ich zum Beispiel meinem Computer versprochen, dass ich ihn lieben und ehren werde bis er eines Tages im Schlaf von uns geht – denn da er mit seinen (damals!) fast zehn Jahren auf dem Buckel und mehreren Operationen, wie zum Beispiel Staubabsaugen für die persönliche Schönheit und der bitter nötige Festplattenwechsel (wobei wir uns noch bei den Angehörigen des Spenders riesig bedankten) naja, nun… da habe ich mir geschworen, dass ich dem armen alten Dinosaurier, wie ich ihn scherzhaft gerne nenne (obwohl er eigentlich inoffiziell Rüdiger heißt), ein schönes Dasein erfüllen werde. So habe ich ihn selten überladen mit irgendwelchen Dateien oder Programmen – alles, was ich nicht brauchte, wurde gelöscht und deinstalliert. Mindestens einmal in der Woche wurde das Anti-Viren-Programm für eine schnelle Untersuchung angeheuert und einmal im Monat für eine vollständige (und zeitraubende). Ich hab auf dem ganzen Computer für Ordnung gesorgt – so die übriggebliebenen Daten der Eltern an ihren Computer rüber gespielt, Toris Sachen ebenfalls, den Rest (also meine Sachen) neu sortiert – denn nun hatte ich freie Bahn.
Ich hab ihn aufgemöbelt. Niemals habe ich den guten Dino jemals so gut in Form gesehen.
Nicht mal der neue Computer meiner Eltern mit seinem Highspeed-Internet konnte mich von meiner Liebe zu meinem Alten abbringen.
Es war gegenseitige Liebe, btw. Rüdiger hielt mich lange aus. Wir konnten bis drei Uhr nachts im Internet hocken und gleichzeitig Karten zocken. Ich hab grad unfreiwillig gereimt, shit. Ich konnte sogar Sims spielen! SIMS! Das hat ihn zwar doch fertig gemacht, aber da ich eh nie länger als zwei Stunden gebraucht habe, um ein Haus zu bauen oder einen Sim zu töten, war das vollkommen in Ordnung.
Sogar als ich später mit meinem Smartphone ankam und den Dino dementsprechend seltener anschaltete war alles gut. Klar, er war außer Form gekommen und ich selber ließ mich schnell während der Wartezeit ablenken.
Doch wie heißt es so schön? Das Glück hält nicht ewig – oder so.
So ist es auch bei uns.
Rüdiger ist ein Windows XP.
Und Microsoft unterstützt seit Ende April/Anfang Mai dieses System nicht mehr.
Ergo: keine Updates – was eigentlich gut ist, weil die extrem nervig sind. Aber auch keine Sicherheit mehr, denn dadurch wurde auch das Anti-Viren-Programm außer Gefecht gesetzt.
Aus Angst, dem Dino eine tödliche Krankheit einzufangen und ihn somit vielleicht für immer zu verlieren, schalte ich ihn nicht mehr ein. Ich hab nur schnell alle Daten auf meine Festplatte gezogen und hoffnungslos versucht, das Programm eventuell zum Laufen zu bringen. Erfolglos.
Zwar könnte ich ein neues System runterladen, aber…
XP ist mein Favorit. Nicht nur, dass es so schön kitschig ist. Es auch so schön „alt“ ist. Nicht unbedingt retro. Es ist einfach nur so viel bequemer und simpler als Windows 7 oder 8. Die Taskleiste zum Beispiel ist viel übersichtlicher und schneller zu hantieren. Und ich hab auch keine dämliche, starre und intolerante „Bibliothek“ als Ordnerhierarchie.
Außerdem würde ein neues System meinen Alten noch langsamer machen. Dann wäre er nicht mehr gefühlt 50 Jahre alt, sondern 70 oder 80. Also ein Uropa! Eine Schildkröte! Okay, ich mag Schildkröten.
Deswegen sitze ich seitdem an Toris altem Laptop, der gewissermaßen ihr Rüdiger ist. Wenn ich mich also schuldig fühle, wenn ich am Laptop sitze und arbeite, so fühlt sich Tori schuldig, wenn sie mit ihrem neuen Laptop zu Besuch kommt und ihren Alten sieht… sie ist somit die einzige zuhause, die mich nicht auslacht, wenn ich den Dino betrauere.
Aber wie sollte ich denn auch nicht?
Er war mein erster Computer, unser erster Computer! Wir haben so vieles durchgemacht. Sämtliche Viren, Trojaner und Fieberanfälle bekämpft und besiegt. Meine ersten Paint-Gemälde und Comics gezeichnet. Mit Rüdiger habe ich meine erste Powerpoint-Präsentation gemacht. Aber auch Videos und Audiodateien habe ich bearbeitet. Er hat mir auch beim Entdecken des Schreibens geholfen – mir Office Word  und das Internet zum Recherchieren gegeben.
Mit dem Dinosaurier verbinde ich so viele Erinnerungen…
Es ist echt schwer, so einem langjährigen Freund, der eigentlich „nur“ eine Maschine ist, Lebewohl zu sagen.
(30. Mai 2014)