2016/08/04

this is what we trained for


Ich bin ein Stubenhocker. Das ist mir erst vor kurzem aufgefallen.
               Ja, okay, ich weiß seit Jahren, dass ich mich zuhause wohler fühle und raus gehen eher als Last ansehe, aber das lag daran, dass es in Tortuga kaum was Gutes gibt. Nur das Blümchen Café und das Sono, das aber eher abends und da bin ich entweder wieder zuhause oder noch im Blümchen.
               Seit ich in Berlin wohne, gehe ich (glaube ich zumindest) öfter raus. Nicht nur zum Einkaufen, das ich am liebsten zu Fuß mache. Sondern zum Schlendern. Ja, auch im Einkaufscenter (einer ist in unmittelbarer Nähe und ohne Gefährt zu erreichen, das zählt also sehr wohl!). Es ist aber trotzdem seltsam. Ich gehe eher zu einem Ort, den ich schon kenne, als irgendwo fremdes. Verständlich, weil ich weiß was es gibt. Aber auch weil die Anfahrt (und Rückfahrt) meist auswendig kenne. Wenn ich als irgendwo hin muss, wo ich sonst nie war, stresst mich das. Ich liebe zwar die BVG (und die lieben mich zurück, höhö), aber das ewige Hin- und Herfahren, Verspätungen und Umsteigen stressen mich.
               Der tolle neue Ort macht aber alles wieder wett. Ich mache mir insgeheim eine Liste, wo ich zukünftige Besucher hinführen kann, um lecker und günstig zu essen. Oder einfach zum Schlendern, um das typische Touri-Zeug zu ersparen. 
               Schlussstrich: ich liebe das Rausgehen in Berlin, Stress und Angst hin oder her. Im Endeffekt sammel ich nur positive Erfahrung und tolle Erinnerungen. Mich wundert’s nur, dass meine Freunde aus der Uni mich wieder zu einem Treffen einladen. Vielleicht bin ich cooler als gedacht. Oder eine Art Stockholm Syndrom. :D
               Okay, aber wieso nochmal Stubenhocker? Nicht jeder meiner Freunde ist ein regelmäßiger Discobesucher – tatsächlich sind sie eher wie ich lieber Kinogänger, Café-Entdecker oder Privat-Partyqueen. Deswegen kein Druck oder sowas. Klar, einige gehen öfters aus, andere lernen mehr. Oder gucken fast ununterbrochen eine oder mehrere Serien. Nichts neues. Nichts schlimmes. Recht alltäglich. Also wieso jetzt Stubenhocker?
               Nun, ich liebe meine Wohnung. Egal, ob etwas teuer/mehr als anfangs geplant und hartes Wasser, sehr heiß im Sommer und altes Fenster in der Küche, ohne gute Verbindung zur S Bahn und ein Bus, der nur alle 20 Minuten fährt. Ich liebe es, wie frisch und hell sie ist, auch wenn ich im Vergleich danach alles andere als dreckig und veraltet sehe. Ich liebe es, dass ich im neunten Stock wohne und daher einen krass geilen Ausblick habe – ich sehe, wie die Sommergewitter in Mitte starten, wie die dunklen, bauschigen Wolken sich zusammenpferchen  und ich die lila-rosa Blitze beobachten kann, wie die riesigen, grünen Bäume im Wind mir quasi winken und ich den TV Spargel noch im Blickfeld hab. Die Grundschule hinterm Haus ist selten nervig, ich sehe und höre die Kinder selten, da ich vormittags kaum zuhause bin – und wenn doch, lach ich sie aus, wenn sie schreiend zur Pause raus rennen. Zwar sind sie morgens und nachmittags in der Tram manchmal anstrengend, aber so sind Kinder nun mal. Mindestens nicht so nervtötend wie die ganzen Schulklassen, die sich frech und viel zu laut in der Tram streiten, schlagen und beleidigen, während sie zum Hostel fahren oder in die andere Richtung ins Zentrum – dass ich ein Hostel um die Ecke habe ist echt ein Pech.
               Ich liebe es, wie mein Zimmer aufgeteilt ist, dass ich trotz der Möbel und der Raumgröße noch so viel Platz habe, um bei Regen meine Wäsche drinnen zu trocknen, in Ruhe Sport machen kann, so viel verrückt tanzen kann ohne direkt in meinen Schrank oder mein Bett zu stoßen. Dass ich einen coolen Vinylboden hab, der kratzresistent ist und warm bleibt; das graue Holzmuster dabei ist  p e r f e k t. Und obwohl ich so viel Platz hab, muss ich nicht lange Staubsaugen oder Bodenwischen. Ideal für mich, weil ich beides zum Kotzen finde, auch wenn ich Putzen mittlerweile nicht mehr so als Last ansehe. Ich mag es staubfrei, ich liebe einen unbefleckten, nicht klebrigen und krümellosen Boden und wenn die Küchenschränke ordentlich eingeräumt sind. Dass Berliner Wohnungen sehr schnell staubig werden, nervt mich zwar höllisch, kommt mir aber zu gute: je mehr ich putze, desto weniger wird meine Allergie gereizt. Außerdem: der Staub ist irgendwie anders?? Ich reagiere auf den weniger??  Das lieb ich natürlich auch!
               Ich liebe es, wie die Sonne in meine Wohnung scheint und ich an Wochenenden dadurch geweckt werde. Und die Sonnenuntergänge sind atemberaubend schön. Zwar wird es bei mir deswegen recht warm – 28 Grad, mindestens – und wenn ich nicht aufpasse, kriege ich sofort Fruchtfliegen und mein Biomüll wird zur Quelle jeglicher Larven (ich möchte nicht weiter darüber reden, ich hab genug Albträume für die halbe Bevölkerung Deutschlands), dafür musste ich im Winter kein einziges Mal die Heizung anschalten. Konstant 22 Grad gehabt, keine Heizdecke benötigt und konnte sogar in gasp! Shorts rumlaufen. Meine Stromkosten sind deswegen gesunken und ich hab was zurück gezahlt bekommen. Voll geil.
               Die Verbindung bei mir ist recht praktisch. Eine Bushaltestelle fünf Minuten zu Fuß entfernt, der Bus fährt in der einen Richtung zu meiner Poststelle und zu meinem Lidl, dafür leider nur alle 20 Minuten und recht oft mit Verspätung. Dafür hab ich die Tramhaltestelle in der Nähe, wenn ich renne hab ich sie in zwei Minuten erreicht. Die M6 fährt bis zum Hackeschen Markt, wo ich entweder über die Museumsinsel zur Uni laufe oder die S Bahn nehme, je nachdem ob es stark regnet und wie faul ich bin. Mit der M6 fahre ich an zwei Kinos vorbei (Cinestar und UCI), an einem Ärzteviertel, an zwei Schwimmhallen, an einem S Bahnhof mit Ringbahn, habe ein Haema-Blutspendezentrum (sogar zwei), an zwei russischen Läden, zwei Einkaufscentren und Ikea Lichtenberg. Was will ich mehr? Nichts. Ich bin überaus glücklich mit der M6 – und wenn ich nicht weit weg muss, hab ich auch die Tram 16 zur Verfügung.        
               Ich liebe meine Wohnung, meine Lage und wie glücklich ich mit ihr bin – anfangs hatte ich Angst, ich würde sehr unter Heimweh leiden oder meine alte Ordnung zurückwünschen. Nope. Und genau deswegen bin ich ein Stubenhocker: ich liebe es, drinnen auf dem Boden zu liegen während ich im Handy surfe. Oder wie ich beim Bügeln am Laptop was gucke. Oder beim Kochen die Musik vollaufgedreht hören kann, ohne dass ein Nachbar sich beschwert, weil bis 22 Uhr darf ich so laut sein und das juckt deswegen keinen, tatsächlich sind meine angrenzenden Nachbarn genauso laut wie ich – mein Nachbar ist übrigens Adele Fan. Erst durch ihn hab ich Adeles „Hello“ gehört – bin kein Radioliebhaber.
               Wenn ich meine Wohnung für eine längere Zeit verlasse, krieg ich immer leichte Panik. Hab ich alles abgeschlossen? Fenster und Balkontür? Wohnungstür? Überall  Licht aus? Shit, ich hab das Wasser bei der Waschmaschine nicht zugedreht, also hoffen, dass kein Wasser spontan ausläuft! Ist die Kiste auf dem Balkon wirklich wasserdicht? Ja. Ja, alles gut. Alles verschlossen, alles aus, alles zugedreht und die Balkonkiste ist super wasserdicht. Die besorgte Stimme treibt mich nur gern in den Wahnsinn mit solchen Sorgen.
               Plus hasse ich die dreistündige Zugfahrt von Berlin nach Fulda/andersrum. Mindestens drei Stunden lang dieses ätzende Gefühl im Magen, ob ich denn ohne Verspätung ankomme, ob ich diesmal keine Ohrenschmerzen dank der Tunnel bekomme, ob sich niemand zu mir setzen wird. Diese Ungewissheit, nachdem ich den Wohnungsschlüssel aus dem Schloss nehme, den Müll rausgebracht habe und mit meinem Gepäck dann zur Tramhaltestelle gehe. An sich ist das Zugfahren nicht schlimm – Musik hören, lesen oder (wie jetzt) schreiben. Wäre nur dieses nagende, schwer beschreibbares Gefühl nicht da.
               Und wenn ich dann in Hessen bin, freue ich mich über die bergige Landschaft, die vertraute Kleinstadt, die vielen bekannten Gesichter. Doch dann irgendwann vermisse ich mein Bett, das um einiges breiter und einfach bequemer ist. Meinen Kuschellöwen und Beschützer Dean, den ich aus Platzmangel nie mitnehme, außerdem: er passt für mich auf meine Wohnung auf. Mein Schreibtisch ist mit Mamas Nähmaschine zugestellt, mein Schrank zur Hälfte eine Schatztruhe, da dort Mama jegliche Geschenke für meine Nichten aufbewahrt, mein Badzubehör im Kulturbeutel. Keine zugeordneten Plätze wie bei mir in der Wohnung. Das macht mich fertig. Ich mag meine Ordnung und vermisse sie.
               Kochen und essen ist auch irgendwie seltsam. Erstens, weil du dich nicht traust, da Mama sich freut wieder für dich zu kochen. Zweitens, weil du nicht mehr weißt, wo was lag. Und ob das alle Gewürze im Haus sind oder Mama noch welche versteckt hat. Und warum hat Mama keine Haferflocken. Drittens, zu viele Töpfe. In zu vielen Größen. Ich bin es gewohnt, für mich selber zu kochen, egal ob mit oder ohne Nachschlagportion oder Resten für einen Auflauf. Außerdem essen meine Eltern ungern Salat oder frisches Obst und Gemüse. Dafür essen sie gerne Suppe und da bin ich raus.
               Kochen hat für mich etwas beruhigendes. Eine Art „Willkommen zuhause“-Ritual. Nach Hause kommen, umziehen, Hände waschen und kochen. Egal, ob etwas schnelles wie ein Buchweizenbrei oder etwas größeres wie Hühnchen mit Kartoffelstampf und Salat. Das Zubereiten beruhigt mich, gibt mir eine Art Routine und das Gefühl, dass ich alles richtig mache. Und dann komm ich nach Hause zu meinen Eltern und hab nichts mehr zu tun. Total seltsam. Klar, ich hab Ferien bzw. frei, ein bisschen verhätscheln ist toll, aber nach einiger Zeit frustrierend. Plötzlich krieg ich Schokolade in die Hand gedrückt und wenn ich um elf noch nicht zuhause bin, werde ich angerufen und gebeten, nach Hause zu gehen, als sei ich immer noch 16 und komplett hilflos. Total seltsam.
               Ich glaube, Stubenhocker ist deswegen ein falsch gewähltes Wort. Eigenheimler vielleicht. Keine Ahnung.

Jedenfalls ist das hier mein erster Blogeintrag seit Monaten. Ich weiß nicht, wie es dazu kam. So sehr überfordert bin ich von der Uni nicht. Zeit hab ich auch. Bloß das alles zu beschreiben ist mühselig. Aber ich möchte trotzdem versuchen, die Zeit seit der Wohnungssuche irgendwie festzuhalten. Ist mir doch irgendwie peinlich, dass ich diese mir wichtige Zeit nicht ansatzweise so blogmäßig darbieten konnte. Vor allem, weil meine ersten zwei Semester schon vorbei sind, ich so viele neue Dinge gelernt und gesehen hab; ich quelle quasi fast über.
Aber genug für jetzt. Muss bald aussteigen – Fulda ist die nächste Station.




2 Kommentare:

Jewels hat gesagt…

Ich glaube es ist so viel einfacher Gleichgesinnte in der Uni zu finden. Einfach weil man mehr Auswahl hat und weniger Zwang. :D

Gegen Hitze im Sommer, können gute Jalousien helfen. Meine Wohnung in Confluentes war ein Backofen bevor ich diese Dinger hatte, die man einfach ans Fenster klemmen kann. (Brauchstu?)

Alex Sparrow hat gesagt…

Nee, Jalousien will ich nicht. Hab schon so was ähnliches (in weiß) in der Küche hängen, wirkt dann immer nen Tick dunkler als der Rest der Wohnung und das macht mich etwas runter. Ist eigentlich auch aushaltbar solange man nichts dickes/langes trägt und abends/nachts lüftet