Ich kann mich nicht
wirklich an alles erinnern – meine Güte, ich war noch nicht mal sechs Jahre alt
– aber ich glaube, die Angst vorm Fliegen hatte ich nicht (falls ich überhaupt
verstanden habe, dass wir fliegen).
Ich erinnere mich
aber an drei Lager – einen, mit einer schönen Stadt und einem tollen
Spielplatz, einen mit weißem Sand und einen mit Wildschweinen im nahen Wald.
Ich erinnere mich
an den ersten Deutschsprechenden, der mich veräppelt hat: „Kostet das was?“ – „Ja.“
– „Och nö, jetzt-“ – „Nein, Scherz, es ist kostenlos!“
An Kirchenglocken
und das Lied Bruder Jakob.
An eine weiße
Marmorstatue.
Angst, vor dem
Wald.
Flurlicht, das
automatisch angeht, wenn man in den Flur geht, den ich auszutricksen versuchte.
All das durch den
Schleier eines dummen und naiven Kindes.
Ich erinnere mich
an den Kindergarten, wo ich Deutsch erlernte und am Anfang erst durch
Handzeichen klar kam. Irgendwann war ich selber Dolmetscher für neue,
russischsprechende Kinder.
Ich erinnere mich
an Teletubbies, Simsalabim Sabrina, der Bär im blauen Haus und vieles mehr.
Wie Tori von
einem deutschen Blödmann mit einem Stein abgeworfen wurde.
Ich erinnere mich
an Deutschnachhilfeunterricht, an einen „Deutschclub“ und den wunderbaren Hort.
An unsere Wohnung
mit unserem orangen Balkon. Meine Barbievilla von Tori gebaut. Unser blauer
Aufblassessel.
Mama, die sich
für ihr Deutsch schämt, aber trotzdem weiterspricht.
Tori, die
Deutsch-LK genommen hat.
Papa, der sich
über mein schlechtes Russisch lustig macht.
Xenia, die mich
korrigiert.
Wie ich Zeitungen
lese, dabei aber keine dieser hohen Ausdrücke verstehe, trotzdem mitfühlend
nicke.
An den Vater
eines Freundes, der mich ernsthaft gefragt hat, wo genau ich in Deutschland
geboren bin – und überrascht war, als ich ihm sagte, ich sei in Kasachstan
geboren, woraufhin er mein gutes Deutsch gelobt hat.
Wie ich im Bett
sitze, Bücher lese und dadurch anfing zu schreiben – auf Deutsch.
In diesen zehn
Jahren habe ich die Geschichte Deutschlands kennengelernt, Papa zu Wahlen
begleitet, Fasching gefeiert, ebenso Halloween. Weihnachten nun wirklich immer
am 24. Dezember.
Auch wenn ich
wirklich Deutsche bin, sehe ich mich als keine an.
Klar, diese
lächerlichen Zahlen können ausschlaggebend sein – aber zehn ist für mich klein.
Selbst wenn ich
50 Jahre hier verbringen würde, ich sehe mich immer noch nicht als Deutsche.
Aber auch nicht
als Russin oder Kasachin.
Aber das ist mein
Problem.
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