2012/09/19

Schwein gehabt


„Wo sind denn die anderen?“, fragt mich Jenny und schaut sich dabei in unserem franz-Raum um. Nur unsere Klasse ist anwesend.
„Die haben Wandertag“, antworte ich ihr. Vorhin hab ich noch Lea und Louisa gesehen und ihnen Spaß gewünscht, da sie selber nicht wissen, wohin es eigentlich hingeht.
Herr Schwade kommt herein, sein Koffer vor sich schiebend und diesem Ausdruck von „Schon wieder die hier“, stellt seine Sachen barsch ab und geht plötzlich auf mich, nachdem wir alle aufgestanden sind um uns zu begrüßen.
„Alexandra, Herr Party will mit dir sprechen.“
Obwohl mir nichts einfällt, was ich hätte falsch machen können, wird mir schlecht. Oh Gott, was hab ich getan?
„Warte“, setz Herr Schwade nach, „du bist doch Alexandra Sparrow, oder?“
Meine Panik schwindet zu Unglauben. Echt jetzt? Ein Monat Schule und du weiß immer noch nicht, wie ich heiße?
„Ja. Ja, bin ich.“
„Na dann geh, er wollte mit dir noch in der ersten Stunde sprechen“, lächelt er mir aufmunternd zu, obwohl alle wissen, dass Herr Party als Stellvertretende Direktor eigentlich der strenge, aber faire Direktor ist. So wie Professor McGonagall.
Noch bevor ich den ersten Schritt setze, fällt mir noch was ein.
„Äh, Herr Schwade, wo liegt denn sein Büro?“
„Ach, das ist gegenüber dem Sekretariat.“
„Aha. Na dann frag ich dort einfach mal“, gestehe ich laut ein, denn so wirklich geholfen hat er mir nicht.
Mit schnellen Schritten gehe ich zur Tür, mach sie auf und stürze beinah raus. Als sie wieder zu ist, drehe ich mich auf den Fersen Richtung Sekretariat und bete, dass Herr Party mit mir Nachsicht haben wird – was auch immer ich bitte schön getan habe(n soll).
Starr vor Schreck laufe ich wie ein Roboter, laufe an ehemaligen Klassenkameraden vorbei und versuche mich zu beruhigen, was aber nicht sonderlich gut klappt.
Am Lehrerzimmer vorbei, einem unbekannten Lehrer einen guten Morgen wünschen (Was, wenn ich ihn in Zukunft haben werde? Naja, falls…), die Treppe vor der Aula runter, nach rechts, drei Treppenstufen überfliegen und im Sekretariat nach Herrn Partys Büro fragen.
„Die ist hier die kleine Treppe rauf, gleich links“, lächelt mir die Frau zu, dessen Name ich immer wieder vergesse. Sie macht denselben Eindruck wie Herr Schwade: ermutigend, ermunternd, Mut zu sprechend. Es fehlt nur noch ein „Alles wird gut, Liebes“, dann wäre ich mir sicher, dass ich am Truman-Show-Syndrom leide.
Wieder draußen sprinte ich die drei Treppenstufen rauf und sehe sofort die Tür, die ich zum ersten Mal deutlich bemerke.
Groß, unnatürlich weit, im selben beigen Ton lackiert, mit einem kleinen schwarzen Täfelchen am oberen Rand markiert: Herr Partys Büro. Die Nummer hab ich schon wieder vergessen.
Des Atmens nicht fähig klopfe ich ängstlich, aber fest an der Tür. Ein „Herein!“ folgt ohne Pause.
So wütend klingt er gar nicht, spreche ich mir selber Mut zu.
„Guten Morgen“, wünsche ich dem stellvertretendem Direktor atemlos.
„Guten Morgen, Alexandra“, wünscht er mir zurück. Sieh mal an, gut gelaunt? „Setz dich doch.“
Ich setze mich, mit den Nerven zum Zerreißen gespannt auf mein Schicksal.
„Ich weiß nicht, ob du davon schon mal gehört hast, Alexandra“, fängt Herr Party an, „aber wir haben an der Schule eine Stiftung.“
Er legt eine Pause ein und schaut mich erwartungsvoll an.
„Okay?“, kommt es aus mir heraus, meiner Meinung nach zu laut und zu respektlos gegenüber Herr Party.
Kommentarlos redet Herr Party weiter. Er erzählt mir von der Stiftung, die Schüler für besondere Leistung belohnen, und dass Frau Kiwitz dem Vorstand der Stiftung vorgeschlagen hat, mich für meine „hervorragende Leistungen und mein Engagement im Wahlfach Theater“ ebenso zu belohnen – mit der Übernahme der Kosten für die Teilnahme am Workshop des Schauspiel Frankfurts im nächsten Jahr.
„Heilige Scheiße“, ist mir beinahe ausgerutscht. Stattdessen strahle ich vor Freude, bedanke mich bestimmt drei Mal bei Herrn Party, der mich deswegen extra persönlich sehen wollte – um mir persönlich zu gratulieren (während des Händeschüttelns kommen noch ein paar Dankeschöns hervor).
„Am 10. November sind deine Eltern zum Stiftungsfest eingeladen – an dem Abend wird dir und Herrn Jan Snefga, den du sicherlich kennst, die Urkunden verliehen.“
Ich fange noch mehr an zu grinsen. Jan auch? Das ist mehr als großartig. Das ist superduper mega hammer goil.
Herr Party überreicht mir noch den offiziellen Brief und schüttelt mir noch einmal die Hand.
„Wir sehen uns spätestens am Abend des 10. Novembers“, lächelt er mir fröhlich zu. Es sieht so aus, als wäre ich nicht die einzige, die vor Freude (und der späten Erkenntnis von Erleichterung) gleich in die Luft springt.
Als ich in der Tür stehe, wünsche ich ihm noch einen schönen Tag und stoße mir hörbar die Tür an den Fuß, was mir aber nichts ausmacht.
Vor Freude renne ich fast zum Franz-Raum, darauf bedacht nicht schallend loszulachen. Ich hab gedacht ich krieg eine saftige Bestrafung! Wie paranoid kann ich nur sein?

Mein Wiederauftauchen bleibt unkommentiert, nur Jenny fragt, was Herr Party von mir wollte.
„Erzähl ich dir später“, flüstere ich zurück, fange aber kurze Zeit später an, alles auf einem Schmierblatt zu schreiben und schiebe diesen ihr dann zu.
Ich schaue ihr beim Lesen zu, bin gespannt auf ihre Reaktion. Doch es kommt keine.
Toll. Meine Freude kriegt einen kleinen Dämpfer, kommt aber wieder zurück als ich in der Pause den Brief aufmache und die erste Zeile lese:
Auszeichnung als Stipendiatin der Stiftung Ozean-Gymnasium
Herr Schwade bemerkt mich, fängt an zu lächeln. „Für jemanden, der von Herr Party zu sprechen gewünscht wurde, siehst du sehr glücklich aus.“
Als Antwort lächele ich einfach nur glückselig.

1 Kommentar:

Unknown hat gesagt…

ich hätte aber auch gedacht 'was habe ich nun schon wieder verbrochen?' aber ich freu mich für dich(: