2012/09/20

Walisischer Harry Potter


Jenny und ich stehen in unserem ganz alten Schulhaus, verabschieden uns, da wir in unterschiedliche Richtungen gehen müssen – Jenny nach Hause, ich zum Raum des Cambridge-Kurses.
Doch ein Teil des Kurses kommt mir schon entgegen, aus der Richtung unseres Raumes.
„Äh…?“, mache ich laut.
„Wir sind heute im Sprachlabor“, informiert mich Edwin.
Das macht Sinn, schließlich stehe ich vor genau diesem Raum.
Langsam tauchen weitere Teilnehmer auf – aber auch Patrick und Maurice, die ebenfalls auf dem Heimweg sind.
„Haha, ihr habt noch zwei Stunden Schule!“, lacht uns Patrick aus. Er wirkt sehr schadenfroh.
Maurice dagegen schaut böse in die runde.
„Du bist doch nur eifersüchtig“, rufe ich ihm entgegen – doch es ist Maurice, der mit entgegnet und meine Theorie bestätigt.
„Halt’s Maul!“
Statt beleidigt oder gekränkt zu sein, unterdrücke ich mir ein böses Lachen.

„Wir sind heute im Sprachlabor, da ich den offiziellen Film der Cambridge University habe und euch zeigen möchte, wie es so in der Prüfung aussehen kann“, erklärt und Frau Keller auf Englisch und betastet die Fernbedienung.
Am Anfang erklärt uns eine der Prüfer, was die Aufgabe, dann sehen wir zwei Teilnehmer der Prüfung – eine Deutsche und ein Deutscher.
„Boah, der ist so geil, den will ich mir mal ausleihen!“, hör ich Marvin neben mir in der hintersten Reihe.
Als wir diesen Teil der Prüfung zu Ende gesehen haben, stellt uns Frau Keller Mike vor:
„Mike ist für ein Jahr in Deutschland und wird uns beziehungsweise euch beim Lernen zur Seite stehen.“
Mike, ein großer, hagerer Kerl mit Brille und weitem Pullover steht auf, stellt sich vor und warnt uns, dass er mit uns auf Englisch sprechen wird, da er Deutsch nicht könne.
„So ein Blödsinn“, geht Frau Keller dazwischen. „Sein Deutsch ist hervorragend.“
Wieder im eigentlichen Kursraum teilt Frau Keller einen Zettel aus, auf dem sich die Partner für den Speaking-Part der Prüfung aufschreiben sollen.
„Machen wir?“, fragt Marvin.
Ich freue mich und stimme sofort zu.
Nachdem die ersten zwei Partnergrüppchen vom Gespräch mit Mike wieder da sind, schickt Frau Keller Marvin und mich mit Mike raus – wir sind an der Reihe.
„Seid ihr nervös?“, fragt Mike auf dem halben Weg.
„Ach, ein bisschen“, gestehe ich es ein.
„Brauchst du nicht – ich schick euch ja schließlich nicht zum dreiköpfigen Hund aus Harry Potter!“
Wir müssen lachen.
Vor dem Seminarraum bleiben wir stehen. Mike schließt ihn auf, betritt das Zimmer und wir folgen ihm. Ich mache die Tür sachte zu.
Mike sitz an der Wand, uns zu gewandt. Zwischen uns ist ein Tisch auf dem Tischdeckchen liegen – und eine Schraube.
„Also, ich stelle mich zuerst vor. Vielleicht fällt es euch dann einfacher. Schließlich müsst ihr in diesem Teil der Aufgabe euch vorstellen und dann auf eine Frage antworten.“
Mike ist in Wales geboren worden, spricht also neben Britisch Englisch auch noch Walisisch. Außerdem kann er auch noch Chinesisch. Er ist 20, ist für ein Jahr in Deutschland, hilft dabei unserem Cambridge-Kurs und weiteren Englisch-Kursen des Q3-jahrgangs, manchmal auch in den Deutsch-Kursen, da er später Deutsch lehren will.
Dann bin ich an der Reihe: Ich erzähle ihm, wie alt ich bin, wie ich heiße, wo ich geboren bin, wie lange ich dort gelebt habe, wie viele Sprachen ich sprechen kann, von unserer Einreise aus Kasachstan nach Deutschland, dass ich die ersten zwei Jahre in der Nähe von Berlin, dann im Nachbardorf und jetzt in dieser Stadt lebe. Ich erzähle von Mucho und dass ich gerne lese. Ich habe so viel erzählt, dass ich nicht einmal mehr weiß, was genau ich gesagt habe. Aber ich weiß: Ich habe nicht alles erzählt. Ich habe das Schreiben weggelassen, die Theater AG, das Bloggen und meine Sehschwäche. Aber wie gesagt, ich habe so viel geredet, dass ich dann einfach abrupt aufgehört habe.
Marvin erzählte ebenfalls nicht wenig: von seinen Eltern, seiner Katze, seinem Bruder. Von seinen Lieblingssendungen im Fernsehen und dass er sie viel lieber auf Englisch guckt.
„Stimmt, im Original sind die besser“, stimmt Mike zu. „Da klingen die nicht so komisch. In Big Bang Theory sprechen die deutschen Synchronsprecher zum Beispiel das ‚Bazinga‘ extrem komisch aus. Im Englischen ist es viel cooler.“
Mike fällt dazu eine Geschichte ein: „Ich hab letztens mit meinem Vater geschrieben – dass ich ihn vermisse. Er hat dann zurückgeschrieben ‚ich dich auch‘ und ich dann ‚echt jetzt?‘ und er so ‚Bazinga!‘.“
Schon wieder müssen wir lachen.
Dann folgte die Frage: „Was kann man in dieser Stadt machen, denn jedes mal, wenn ich jemanden frage, schlagen sie mir McDonald’s vor, aber da will ich nicht hin.“
Die Frage ist für mich ein Problem:
„Ich gehe selber selten raus, weil ich auch nicht weiß, was man hier bitte machen kann. Aber wenn ich dann doch unterwegs bin, dann mit dem Fahrrad einfach durch die Stadt düsen oder mit Freunden in diese billigen Geschäfte gehen und sich zum Beispiel verrückte Hüte anziehen und sich drüber lustig machen. Keine Ahnung wieso. Wahrscheinlich weil mir die Stadt zu langweilig und unschuldig ist, wie ein langweiliger Film oder ein langweiliges Buch. Ich muss mich darüber lustig machen, sonst wird es mir zu doof hier.“
Zu meiner Überraschung findet Mike meine Antwort gut und witzig, originell.
Nachdem auch Marvin für ihn etwas vorgeschlagen hat, will Mike von uns wissen, ob wir noch Fragen (bezüglich der Prüfung) haben.
Also hebe ich die Schraube, die vor mir auf dem Tisch liegt, und frage vollkommen ernst:
„Von welchem Stuhl ist die? Von meinem oder Marvins?“
Schon wieder sind wir am lachen – vor allem, da Mike gesteht, dass sie ihm aus dem Tisch gefallen sei.

Mike hat mir außerdem noch gesagt, dass ich brilliant English spreche.  

1 Kommentar:

Unknown hat gesagt…

klingt nach sehr viel spaß..so was cooles haben wir bei uns nicht..ich mag englisch ziemlich und will es später mal zusammen mit mathe auf lehramt studieren. (: